Zum Inhalt springenZur Suche springen

Forum Unternehmensrecht am 22. Februar 2016

Die zweite Veranstaltung aus der Reihe „Forum Unternehmensrecht“ in diesem Jahr fand am 22.02.2016 im Haus der Universität statt. Rund 120 Teilnehmer aus Wissenschaft, Justiz, Anwaltschaft und Studentenschaft folgten der Einladung des Instituts für Kartellrecht und der Gastgeber Prof. Dr. Christian Kersting, LL.M. (Yale) und Prof. Dr. Nicola Preuß. Bereits zum dritten Mal war Thema des Abends die bis zum 27. Dezember 2016 in das deutsche Recht umzusetzende undefinedKartellschadensersatzrichtlinie. Die Gastgeber haben hierzu einen undefinedGesetzgebungsvorschlag erarbeitet, der im September 2015 veröffentlicht wurde. Als Gäste durfte das Publikum Herrn MinR Dr. Armin Jungbluth und Herrn Filip Kubik, LL.M. (Hamburg) begrüßen. Herr Dr. Jungbluth ist im Bundeswirtschaftsministerium für die Umsetzung der Richtlinie in das deutsche Recht zuständig. Herr Kubik beobachtet für die Europäische Kommission die Umsetzung der Richtlinie u.a. in Deutschland.

Der Abend war als Podiumsdiskussion gestaltet. Die Diskussion teilte sich in sechs Themenblöcke zu den Kernfragen der Umsetzung. Jeweils zu Beginn eines Themenblocks führten Herr Jungbluth aus Sicht des Bundeswirtschaftsministeriums und Herr Kubik aus Sicht der Europäischen Kommission kurz in das Thema ein.

Beide Referenten starteten jeweils mit einleitenden Gedanken. Herr Jungbluth kündigte an, dass die Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie als einer von drei Schwerpunkten im Rahmen einer 9. GWB-Novelle komplett innerhalb des GWB erfolgen solle. Um zu verhindern, dass Konzerne sich durch Umstrukturierung der Haftung für eine Kartellgeldbuße entziehen können, sollen zweitens die Fragen der Rechtsnachfolge und der Konzernhaftung geregelt werden. Als dritten Schwerpunkt wird sich die Novelle der Digitalisierung annehmen. Mit Blick auf aktuelle Fälle wird insbesondere zu überlegen sein, ob die alleinige Anknüpfung der Aufgreifschwelle in der Fusionskontrolle an vergangene Umsatzwerte noch zeitgemäß ist oder nicht vielmehr auch der Kaufpreis für das übernommene Unternehmen in den Blick genommen werden müsste. Herr Kubik stellte einleitend den Stand der Umsetzung innerhalb der Europäischen Union dar und betonte, dass Deutschland aus Sicht der Kommission auf einem guten Weg sei. Art und Umfang der geplanten Umsetzung seien innerhalb der Union völlig verschieden. Einige Mitgliedsstaaten überlegten sogar, Teile der Richtlinie auch für Fälle außerhalb des Kartellrechts zu übernehmen.

 

Der erste Themenblock des Abends behandelte die Frage nach Schadensersatz und Anspruchsgegner (Art. 1-4 & 9 RL). Herr Jungbluth stellte klar, dass die Richtlinie faktisch zur Übernahme des europäischen Unternehmensbegriffs in das deutsche Recht verpflichte und es Aufgabe der Umsetzung sei, hier die Brücke zum Rechtsträgerprinzip des deutschen Rechts zu schlagen. Dem stimmte Herr Kubik zu. Die von Herrn Jungbluth vorgeschlagene erste Umsetzungsidee ist an § 31 BGB angelehnt. Diese Anlehnung hielten manche Wortmeldungen für zu eng. Diskutiert wurde auch über die Frage, ob in Folge der Richtlinienumsetzung dem Unternehmen Rechtsfähigkeit zuzuerkennen sei und ob es bei Übernahme des europäischen Unternehmensbegriffs einer persönlichen Schadensersatzhaftung der Organe, wie sie das OLG Düsseldorf in seiner Dornbracht-Entscheidung angenommen hatte, noch bedürfe.

Beim Thema des Schadensumfangs bestand Einigkeit darüber, dass die in der Richtlinie vorgesehene Schadensvermutung (Art. 17 Abs. 2 RL) als eine widerlegliche in das deutsche Recht umzusetzen sei. Erstmals im deutschen Recht wird in diesem Zusammenhang wohl der Begriff des Kartells definiert werden. Nur für solche soll die Vermutung gelten. Diskutiert wurde, ob die Schadensvermutung auch auf die Missbrauchsfälle zu erstrecken sei. Herr Kubik erklärte, dass die Mitgliedstaaten im Prinzip frei seien, die Vermutung auch in anderen Fällen anzuwenden. Bei der Vorbereitung der Richtlinie sei die Kommission davon ausgegangen, dass die bisherigen ökonomischen Erkenntnisse eine Vermutung in Bezug auf Kartelle am besten rechtfertigen würden. Für die konkrete Höhe des Schadens besteht die Möglichkeit zur Schätzung für die Gerichte. Eine Vermutung hinsichtlich der Annahme eines Mindestschadens (hierzu Kersting/Preuß, Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie (2014/104/EU) – Ein Gesetzgebungsvorschlag aus der Wissenschaft, Rn. 49, 58 ff.) wird voraussichtlich nicht eingeführt werden. Beide Referenten betonten, dass hier insbesondere die Gerichte gefragt sein würden, auch tatsächlich eine Schätzung durchzuführen. Bereits hier und auch im weiteren Verlauf der Veranstaltung kamen Diskussionen zur Ausstattung und Kompetenz der Gerichte auf. Diskutiert wurden verschiedene Möglichkeiten. Frau Preuß merkte an, dass der Gedanke, Spruchkörpern wissenschaftliche Mitarbeiter zuzuordnen, nicht zuletzt für die mit Kartellschadensersatzklagen befassten Kammern von Interesse sei. Auch die Möglichkeit, die Kammern mit Ökonomen zu besetzen, wurde kritisch beleuchtet. Schließlich wurde aus dem Kreis der Teilnehmer die Möglichkeit einer Konzentration von Kartellschadensersatzklagen innerhalb Deutschlands durch Schaffung besonderer Gerichtsstände vorgeschlagen. Herr Jungbluth wies allerdings nachdrücklich auf die Schwierigkeiten solcher Initiativen im föderalistischen System der Bundesrepublik hin und betonte, dass Kartellschadensersatzklagen bei den Gerichten, gemessen an den Fallzahlen, jedenfalls noch nicht die höchste Priorität hätten, es aber vielleicht bereits jetzt Möglichkeiten einer faktischen Konzentration gebe. Allerdings könnte unter Effektivitätsgesichtspunkten durchaus die Notwendigkeit zu einer weiteren Verbesserung der sachlichen und personellen Ausstattung der Gerichte bestehen, wie Herr Kubik und Herr Kersting überlegten.

Hinsichtlich der passing-on Regeln (Art. 12-15 RL) betonten die Referenten den Bedarf, eine besondere Aufmerksamkeit der Umsetzung zu widmen, um eine reibungslose Anwendung der neuen Regeln in der Praxis sicherzustellen. Herr Kubik bestätigte, dass die Richtlinie die Einführung einer Kollektivklage zwar von Mitgliedstaaten nicht verlange, eine solche aber durchaus – im Hinblick auf das Kompensationsprinzip, die neuen passing-on Regeln und die Empfehlung der Kommission zu Kollektivklagen – erwünscht wäre. Aus Sicht des Bundeswirtschaftsministeriums stellen sich zur Problematik der passing-on Regeln noch viele offene Fragen; eine Einführung einer Kollektivklagemöglichkeit in das deutsche Recht sei jedoch unwahrscheinlich. Um dem Effekt, dass der Schaden beim Letztabnehmer regelmäßig relativ gering ist und deshalb ein geringerer Klageanreiz besteht, entgegenzuwirken, werden derzeit zwei Instrumente angedacht: Zum einen die Einführung eines Klageregisters, zum anderen die Etablierung einer Verbraucher­verbände­muster­feststellungs­klage.

Zur Umsetzung der gesamtschuldnerischen Haftung der Kartellanten bestand insgesamt Einigkeit, dass die Regelung in Art. 11 Abs. 2 und 3 der RL zur Privilegierung von KMU verfehlt ist. Hier sei darauf zu achten, dass nur „echte KMU“ privilegiert werden; zudem dürften KMU nicht besser als Kronzeugen behandelt werden. In Bezug auf den Innenausgleich zwischen den Gesamtschuldnern wiesen Stimmen aus dem Publikum auf Schwierigkeiten hinsichtlich der Anteilsbestimmung bei dem von Herrn Jungbluth vorgeschlagenen Maßstab des § 254 BGB hin. Stattdessen wurde eine Anknüpfung an Markt- bzw. Lieferanteile vorgeschlagen. Herr Kersting warf die Frage auf, ob bei der Bestimmung der Innenausgleichsansprüche unter den Kartellanten anstelle von Kriterien, die in den individuellen Gesamtschuldverhältnissen unterschiedlich wirkten, nicht Kriterien heranzuziehen seien, die in allen Gesamtschuldverhältnissen gleich wirkten, wie etwa Liefer- oder Bezugsanteile. Dies gewährleiste eine größere Vorhersehbarkeit und könne auch die einvernehmliche Streitbeilegung erleichtern.

Als nächstes wandte sich das Podium der Frage der Verjährung (Art. 10 RL) zu. Herr Jungbluth fasste die Aussagen der Richtlinie zusammen und trug vor, dass sich die Verjährungsfrist von drei Jahren auf fünf Jahre verlängern solle. Herr Kubik betonte, die größte Änderung im Bereich der Verjährung sei der Beginn der Verjährungsfrist erst mit Beendigung des Kartells. Hier kam in der Diskussion die Problematik zur Sprache, wie zu verfahren sei, wenn ein Kartellant aus dem Kartell aussteigt, dieses aber zwischen den anderen Kartellanten fortgesetzt wird.

 

Diskutanten und Teilnehmer waren sich einig, dass die Umsetzung der Offenlegungsvorschriften (Art. 5-8, 13, 14) die wohl schwierigste Aufgabe werden wird, da der GWB-Gesetzgeber hier zum Teil Neuland betreten müsse. Insofern sind die Arbeiten im Ministerium auch noch nicht abgeschlossen. Herr Kubik bezeichnete die Offenlegung von Beweismitteln als Kernstück der Richtlinie und erläuterte den von der Richtlinie vorgesehenen Umfang. So gehe es nicht nur um die Offenlegung einzelner Dokumente, sondern auch um die Offenlegung ganzer Dokumentenkategorien. Hierzu zählten dann auch solche Dokumente, die Geschäftsgeheimnisse enthielten. Allerdings verpflichte die Richtlinie die Bundesrepublik dazu, Regeln zu schaffen, die es den Gerichten ermöglicht, die Geschäftsgeheimnisse zu schützen. Frau Preuß startete die Diskussion mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Fragen, die bei der Umsetzung der Offenlegungsregelungen zu entscheiden seien. Hierbei handele es sich zunächst um die Frage, ob die Offenlegung der Beweismittel Gegenstand eines materiell-rechtlichen Anspruchs darstellen solle, der dann selbständig, auch in einem „Vorverfahren“ geltend gemacht werden könnte, oder ob Offenlegung erst im eigentlichen Schadensersatzprozess verlangt werden könne. Ihrer Meinung nach müsste es sich aus der Perspektive des deutschen Rechts um einen materiellen Anspruch handeln, der konsequenterweise zur Vorbereitung einer Schadensersatzklage bereits vor dem eigentlichen Schadensersatzprozess durchsetzbar sein müsse. Darüber hinaus stelle sich die Frage, ob Offenlegung auch einen Anspruch auf Akteneinsicht umfasse. Herr Jungbluth betonte die Subsidiarität einer Vorlagepflicht der Wettbewerbsbehörde. Zum grundsätzlichen Verständnis der Offenlegung deutete er an, dass er die Vorgaben der Richtlinie insgesamt eher in dem Sinne verstehe, dass Offenlegung nicht notwendig auf den Schadensersatzprozesses beschränkt sei. Dafür sprach auch aus Sicht einiger Teilnehmer, dass anderenfalls eine Schadensersatzklage zu erheben sei, obwohl Unsicherheiten sowohl über die Höhe des Schadens als auch über die Person des Schädigers bestünden. Im Rahmen der Diskussion wurden viele weitere Fragen aufgeworfen. So wurde diskutiert, ob im Falle der Geltendmachung der Offenlegung in einem vorgelagerten Verfahren auf die Offenlegung und den Schadensersatzanspruch überhaupt das gleiche Recht anwendbar sei und welches Gericht in diesem Falle zuständig sein sollte. Denn vielfach könne ohne die Dokumente, deren Offenlegung begehrt wird, noch gar nicht abschließend über das für die Frage des Schadensersatzes zuständige Gericht entschieden werden. Ebenso kontrovers wurde die Frage diskutiert, wie im Falle der Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen diese am besten zu schützen seien.

Zum Abschluss der Veranstaltung stellte Herr Jungbluth einen groben Zeitplan zur Umsetzung der Richtlinie vor. So sei der Referentenentwurf noch für das Frühjahr geplant, um Kabinett und Bundesrat noch vor der Sommerpause mit dem Gesetzesvorhaben befassen zu können.

Verantwortlichkeit: